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Von der Fernsehwelt nach Südindien

Oktober 6th, 2019 · written by Herbert · Keine Kommentare

Lisa hat für einen Monat im Gyan-Schulprojekt in Südindien als Freiwillige gearbeitet. Für unseren Blog hat Sie Ihre Erfahrungen aufgeschrieben.

Mein Wecker klingelt ‪6:00 Uhr‬. In Leipzig führt mich mein erster Gang zur Kaffeemaschine, mein zweiter ins Bad vor den Spiegel. Auf meinem Arbeitsweg, bewaffnet mit meinem Kaffee-to-go-Becher in der linken und meinem Handy in der rechten Hand, beantworte ich Nachrichten und bereite mich mit den neusten Meldungen auf meine Arbeit vor.

Wenn es nicht die drei Kaffee bis hier hin waren, dann schraubt spätestens das Großraumbüro meinen Puls nach oben. Lautes Gemurmel, Besprechungen, Tastaturen klacken, Hörer werden abgenommen und aufgelegt. Jeder Arbeitstag dreht sich um die tagesaktuelle Berichterstattung, die neusten Geschichten, die überall und immer passieren. Wir folgen den Schlagzeilen – Ich als Redakteurin drehe sie mit einem Kamerateam für die TV-Berichterstattung. Aufregend, nervenaufreibend und abwechslungsreich? Auf jeden Fall!

Mein Name ist Lisa. Ich bin 23 Jahre alt und arbeite seit 4 Jahren in einer Fernsehproduktionsfirma in Leipzig.
Einen Blick über den Tellerrand „Europa“ zu werfen und einen tieferen Einblick in die Arbeit und das Leben in Südindien zu erhalten, das sind meine Gründe für diese Reise. Mit viel Neugier im Gepäck erkunde ich für einen Monat eine mir bisher völlig unbekannte Kultur und darf Gast in der indischen Gastfamilie sein.
Die Freude am Schreiben ist auch hier geblieben und deshalb will ich einen kleinen Einblick in meinen völlig veränderten Alltag als Englischlehrerin, Gastschwester und Freundin in Shenbakkam und dem Projekt „Gyan“ geben.

Morgenroutine mal anders.

Ein lauter Schlag gegen unsere Holztür. „PALL“ brüllt der Milchmann. ‪7:30 Uhr‬. Ich bin wach. Hellwach! Die Milch, also die „Pall“ in Tamil, schüttet er mir draußen auf der Straße aus seinem Kanister in meine Schüssel. Danach stelle ich mich unter die Dusche – OK. eigentlich ist es einfach ein Eimer. Wir haben meist fließendes Wasser in unserer Unterkunft. Allerdings ist der Hahn so weit unten angebracht, dass es mit dem Eimer nicht nur bequemer, sondern auch die Wasser sparendere Angelegenheit ist. Das Gefühl ist bei den tropenähnlichen Temperaturen kaum zu toppen. Denn obwohl ich im August die „kühlere“ Zeit in Indien abbekommen habe, sind hier tags und nachts immer noch gute 33 Grad. Die fühlen sich aber oft noch wesentlich wärmer an.
Mit mir lebt und wohnt noch ein Freiwilliger in der Unterkunft. Er heißt Niklas und ist, im Gegensatz zu mir, ein halbes Jahr in Shenbakkam. Gerade zu Beginn meiner Zeit ist er mir eine große Hilfe. Auch wenn ich zuvor schon viel außerhalb Europas gereist bin, überfordert mich Indien mit all seinen Eigenheiten schon das eine oder andere Mal und macht mich manchmal sprachlos. Niklas betreut mit der indischen Lehrerin Sindhu eine Klasse. Ich werde mit meiner „Gastschwester“ und Englischlehrerin Priya die andere Klasse übernehmen.

Meine erste Englischstunde als Lehrerin.

Frisch geduscht geht’s also zu meiner ersten Stunde. Habe ich vorher schon mal unterrichtet? Ja, Sport als Skilehrerin in der Schweiz. Englisch? Nein, noch nie. Dementsprechend bin ich aufgeregt. Es ist Montag. In dieser Woche steht Simple Present auf dem Plan. Am Donnerstag wird es eine Klassenarbeit dazu geben und dafür üben wir. Der Unterricht ist anders als in Deutschland. Freier, ungezwungener und wesentlich lauter. Wenn ich mit meinem Englisch bei den 25 Jugendlichen vor mir nicht mehr weiterkomme, erklärt Priya meine Inhalte auf Tamil. Meine erste korrigierte und bewertete Klassenarbeit teile ich stolz mit guten Ergebnissen am Freitag aus.
„Friday is Funday“ – und deshalb wird zum Wochenausklang gespielt. Alles auf Englisch natürlich – ist schließlich auch Unterricht.

Die laute Hälfte der Klasse.

In indischen Klassen sitzen die Jungen rechts und die Mädchen links im Klassenraum. Meine „Pappenheimer“ und größte Herausforderung an den meisten Tagen sind die Jungs. Ähnlich wie viele Teenager in Deutschland testen auch sie jeden Tag aufs neue, wie weit sie bei bei einer Lehrerin gehen können und wo die Grenze erreicht ist.
Damit meine ich nicht die deutsche Pünktlichkeit oder Lautstärke. Es sind Situationen, in denen sie sich gegenseitig hoch pushen, anfangen über die Bänke zu springen oder sich sogar schlagen.
Von Anfang an habe ich für alle deutlich erklärt, dass auf respektloses Verhalten Konsequenzen folgen.
In Absprache mit Priya reichen diese von lauten Ermahnungen bei mehrfacher Störung bis hin zum Verweis aus dem Klassenraum für den Rest der Stunde.
So gab es schon mal Null Punkte in der Klassenarbeit bei dem Versuch, von anderen abzuschreiben. Zum Glück hat in den meisten Fällen die laute mündliche Ermahnung ausgereicht.
Trotzdem hatte ich den Eindruck, durch meinen für indische Verhältnisse strengen Unterricht, bei den Jungs nicht die Beliebteste zu sein.
Wie ich an meinem letzten Tag überraschend feststellen musste, war diese Einschätzung falsch.

Das Herz von Shenbakkam.

Das Haus, in das wir nach dem Unterricht zum Frühstück gehen, ist das Haus meiner Gastmutter Manjula und ihrem Mann Vishnu. Es ist Priyas Elternhaus und wie mir in dem Monat bewusst wird, so etwas wie der Mittelpunkt für alles und jeden in Shenbakkam. In diesen vier Wänden ist immer was los. Die Tür steht für den Besuch der unzähligen Verwandten und Freunde immer offen und so wird von früh bis spät gekocht, gelacht und gequatscht. Allu und Anni, die Töchter von Priya, toben um uns herum und zuweilen auch mit uns durch das Haus. Zum Frühstück gibt’s Dosa mit Sambar. Eine Art Eierkuchen mit Tomatensoße. Ungewohnt, aber lecker. Mein Käsebrötchen am Morgen vermisse ich in den kommenden Wochen kein einziges Mal. Der Kindergarten ist gleich nebenan. ‪Bis 15 Uhr‬ spielen, tanzen, singen und lernen wir mit den Kleinsten das ABC.

Erklären, nachfragen, zuhören.

Unterrichten und Nachhilfe zu geben sind die Hauptaufgaben während meiner Zeit in Indien. Am Morgen in der Schule und am Nachmittag in der „Tuition“ – Die Nachhilfe im Ort. Kinder und Jugendliche bringen ihre Hefte, Hausaufgaben und Arbeiten mit und wir gehen sie mit ihnen durch. Die Zeit ‪von 16:30 bis 18:30 Uhr‬ verfliegt. Wenn die Arbeit geschafft ist, wird gespielt. Vielleicht einer der Gründe, warum wir unbewusst, gerne und nicht selten überziehen. Das Lachen, die Leichtigkeit und Freude der Gruppe sind ansteckend. Die Stimmung ist immer gelöst und es gibt keinen Tag, an dem ich mich nicht auf die Kinder freue. So vergeht aber auch kaum ein Tag, an dem ich nicht völlig groggy aus der Tuition komme und mich auf einen Chai Tee bei Manjula freue.

Das Gefühl von Zuhause.

Manjulas Haus ist nicht nur der scheinbare Mittelpunkt Shenbakkams, er wird auch zu meinen Lebensmittelpunkt in den Wochen hier. Wir essen, lachen, diskutieren und feiern gemeinsam. Allu und Anni werden fast schon ein bisschen wie Geschwister für mich. Priyas und Manjulas Geburtstage zelebrieren wir ganz privat mit der Familie. Ich fühle mich aufgenommen und aufgehoben. Nach zwei Wochen fragt mich Manjula: „And? Next holiday coming back?“. Meine Antwort: „I‘ll try“. Sie spricht ein gebrochenes Englisch und für alle anderen Familienmitglieder, vor allem für die kleinen Mädels, übersetzt Priya wieder in Tamil. Oft aber geht es auch ohne Übersetzung. Um zu spielen und zu basteln, muss man ja nicht die gleiche Sprache sprechen.

Ein Kuchen zum Abschied.

Meine „Pappenheimer“ kommen auch an meinem letzten Schultag strahlend über den Schulhof auf mich zugerannt.
„Good Morning Lisa Miss. Cake, play Games … äh … Germany today.”
Okay, an dem Punkt, ganze Sätze in Englisch zu formulieren, müssen wir noch arbeiten.
Sie ziehen mich in den Klassenraum. Dann überreichen mir die Jungs einen Kuchen. Die Mädchen tragen auf Englisch noch ein paar Sätze vor. Sie bedanken sich für die Zeit und Mühe und all das, was sie dadurch gelernt haben. Ich strahle meine Klasse gerührt von all dem an und kann diesen Dank genauso an alle zurückgeben.
Für den nächsten großen Lacher sorgt der Kuchen. Der Konditor hätte nicht gewusst, wie man „Goodbye Lisa Miss“ schreibt. Also meinten meine Schüler, er solle etwas schreiben, wo er sich sicher sei.
Auf dem Kuchen steht in großen Buchstaben „Happy Birthday“.
Bei der Botschaft ist die Aufschrift aber eigentlich ganz egal.

Leichtigkeit.

Durch das enge Zusammenleben mit der Familie habe ich eine mir fremde Kultur so nahe und ehrlich wie noch nie erlebt. Jede Mahlzeit, immer frisch und manchmal auch gemeinsam gekocht, essen wir traditionell mit der rechten Hand. Die Verhaltensweisen sind offensiver und unverblümter als in Deutschland. Das Leben in den Tag hinein ist mit weniger Stress, Ballast und Gütern, dafür mit mehr Leichtigkeit behaftet.
Und ich hoffe, mir genau diese Leichtigkeit auch in meinem Alltag in Deutschland zu erhalten. So geht es für mich mit noch mehr Dankbarkeit im Bauch zurück nach Deutschland.
Nicht, weil wir da so viel komfortabler wohnen und leben.
Ich bin dankbar dafür, dass ich die unzähligen Menschen in Shenbakkam kennenlernen durfte. Die Schüler und die Familie, mit denen ich so oft gelacht habe.
Mit diesem Lächeln und viel Vorfreude auf meine Familie, Freunde und den Kaffee am Morgen geht‘s zum Flughafen.

Ist das auch was für mich?

Die Unbefangenheit, Zufriedenheit und Neugier der Menschen sind ansteckend und machen glücklich und zufrieden. Die Menschen hier sind ehrlich. Die Arbeit ist zwar manchmal anstrengend, aber erfüllend.
Jedem, der gerne mit Menschen, vor allem mit Kindern und Jugendlichen arbeitet, sein Wissen weitergeben und fremde Kulturen erleben möchte, kann ich diesen Ort und das Projekt „Gyan“ sehr ans Herz legen.

Manjula fragte mich am Ende meiner Zeit in Shenbakkam: „And? Coming back?“. Meine Antwort: „I will.“.

Der Autor:
Herbert ist seit Ende 2008 im Gyan e.V. und hat 2009 ein halbes Jahr als Projektleiter vor Ort in Shenbakkam gearbeitet. Er ist Mitglied des Vereinsvorstands und kümmert sich um Öffentlichkeitsarbeit und Fundraising. Nach vielen Jahren in Dresden lebt er heute in Berlin.

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